Der Vater des bandagierten Kopfes


Er sieht zu, wie die Bandagen um ihren Kopf gewickelt, wie die Kanülen gelegt, die ihrem Körper  minutenlang eine Flüssigkeit zuführen.
Er weiß, dass diese Flüssigkeit, ihren Körper lahmlegen, ihre Gedanken verwirren und ihre Gefühle erstarren lässt. Er weiß, um diese Empfindungslosigkeit, die aus seiner Tochter eine andere machen wird. Er kennt dieselbe Prozedur aus eigener Erfahrung.

 

Heute sitzt er dabei und schaut unbeteiligt zu. Er empfindet gar nichts. Ohne irgendeine Emotion schaut er zum bandagierten Kopf seiner komatösen Tochter. Er denkt: Die Bandagen sind nötig, alle müssen diese Prozesse durchlaufen, es nützt nichts, dagegen zu sein. Er kann es ihr nicht ersparen. Er hatte gar nicht versucht, sie davor zu schützen. Er glaubt, seine Tochter sei viel zu lange ohne Bandagen um den Kopf gewesen. Erstaunlich lange hat sie es geschafft sich dagegenzustellen, wofür alle sind und was er für richtig hält. Nun ist es auch bei ihr so weit, Bandagen zu tragen.

 

Bequem lehnt er sich zurück und denkt: Ich halte mich da raus, es ist immer gut, sich raus zu halten. Noch besser ist es, sich empfindungslos zu machen. Das geht sehr gut, wenn alle um einen herum bandagiert sind. Er hat damit keinerlei Probleme.

 

Er will nichts unternehmen gegen die Bandagen und gegen die Flüssigkeit, die das Bewusstsein trüben. Er sieht hinüber zur Tochter, die mit dem bandagierten Kopf langsam wieder zu sich kommt und er weiß, dass er ihr nicht zur Hilfe gehen wird. Sie hatte ihm erzählt, dass sie lange darum kämpfte, nicht bandagiert zu werden. Sie hatte sich deswegen an Fachautoritäten gewandt. Doch er wusste aus eigener Erfahrung, es gibt keine Hilfe, denn auch die Fachautoritäten sind bandagiert. Seine Tochter wollte das nie wahrhaben. Sie hat ihre Wildheit verteidigt, immer und immer wieder. Sie ließ gar nicht mit sich reden, obgleich er es doch besser wusste. Er weiß, dass alle, früher oder später, bandagiert werden. ALLE!

 

Er könnte sie in ihrer Hilflosigkeit an sich drücken und ihr Sicherheit geben, wie einem Kind. Doch dazu ist es jetzt zu spät! Er hat das versäumt. Er gab ihr nie Sicherheit! Er konnte ihr keine geben, zu keiner Zeit! - NIE. Einmal, ja, da zeigte er seine Liebe durch  wertschätzende Worte und gütige Augen. Das hat die Tochter nicht vergessen. Sie war ihm immer dafür dankbar. Konnte sie aus diesem Grund so lange ohne Bandagen leben?